2.5.2.2 Steuerhinterziehung durch pflichtwidriges Unterlassen, § 370 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AO

Der Tatbestand der Steuerhinterziehung durch pflichtwidriges Unterlassen geht davon aus, dass den Finanzbehörden Umstände nicht bekannt sind („Unkenntnis“) und diese deshalb der Angaben des Täters zur korrekten und vollständigen steuerlichen Erfassung des Sachverhalts bedurft hätten. Sind der Finanzbehörde die notwendigen Angaben anderweitig bekannt geworden (z. B. durch eine anonyme Anzeige), liegt keine Unkenntnis mehr vor. Ein Steuerpflichtiger kann dann jedoch immer noch den Versuch einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen begehen, wenn er subjektiv von einer Unkenntnis des Finanzamtes ausgeht. Unkenntnis liegt allerdings dann vor, wenn der Finanzbehörde der Sachverhalt zwar im Grundsatz bekannt ist (S betreibt einen umsatzsteuerpflichtigen Gewerbebetrieb), jedoch die genauen Angaben zur korrekten steuerlichen Erfassung fehlen (S gibt keine Umsatzsteuervoranmeldungen und keine Umsatzsteuerjahressteuererklärung ab).

Der Täter muss die Mitteilung der Angaben unterlassen haben. Hier kann auf die obige Differenzierung zur unvollständigen Angabe von Tatsachen verwiesen werden.

Beispiel: S gibt in seiner Einkommensteuerklärung 2017 weder seine Dividendeneinnahmen aus seinen in Deutschland befindlichen Wertpapierdepots noch aus seinen in der Schweiz befindlichen Wertpapierdepots an. Außerdem verschweigt er, dass er seit 2017 ein Einzelunternehmen mit umsatzsteuerpflichtigen Umsätzen betreibt (kein Kleinunternehmer). Eine Umsatzsteuerjahreserklärung gibt er nicht ab.

Hinsichtlich der Dividendeneinnahmen liegt der Tatbestand der unvollständigen Angaben im Sinne des Abs. 1 Nr. 1 vor. Hingegen liegt hinsichtlich der Umsatzsteuer eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen vor.

Täter einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen im Sinne der Nr. 2 und Nr. 3 kann nur derjenige sein, der zu einem Tun, nämlich zur Mitteilung gegenüber den Finanzbehörden, verpflichtet ist (unechtes Unterlassungsdelikt). Diese Bedingung kommt in dem Tatbestandsmerkmal „pflichtwidrig“ zum Ausdruck. Die Steuergesetze legen dem Steuerpflichtigen eine Reihe von Pflichten auf:

  • Erfassungspflichten,
  • Steuererklärungs- oder Steueranmeldungspflichten,
  • Berichtigungspflicht des § 153 AO.

Die Nichtbeachtung dieser Pflichten führt nicht automatisch zu einer Steuerhinterziehung. Vielmehr muss immer noch der Verkürzungserfolg hinzutreten.

Von Interesse ist die Berichtigungspflicht des § 153 AO. Sie zielt auf den Steuerpflichtigen, der, weil ihm ein Sachverhalt unbekannt war, unwissentlich eine unrichtige oder unvollständige Steuerklärung abgegeben hat, nun aber nachträglich seinen Fehler feststellt. Da der Steuerpflichtige bei der Abgabe im guten Glauben bzw. ohne Vorsatz handelte, käme höchstens eine leichtfertige Steuerhinterziehung in Betracht – je nach Fallgestaltung jedoch nicht einmal die. Damit wäre der Steuerpflichtige (strafrechtlich) aus dem Schneider, er könnte alles auf sich beruhen lassen. Der Gesetzgeber nimmt mit der Vorschrift des § 153 AO nun jedoch auch diesen Bürger in die „Pflicht“ und stellt die Nichterfüllung dieser Pflicht über den § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO unter Strafe.

Beispiel: S gibt vorsätzlich eine falsche Einkommensteuererklärung für 2017 ab, § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO. Unterliegt er der Pflicht des § 153 AO, d.h., kann er zusätzlich auch nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO bestraft werden?

Nein, denn § 153 AO betrifft nicht den Fall der vorsätzlich falschen Steuererklärung. Bei einer vorsätzlich falschen Steuererklärung fehlt ein (nachträgliches) „Erkennen“ im Sinne des § 153 Abs. 1 AO – dem Steuerpflichtigen war die Falschangabe von vornherein bekannt.