1. Mutter-Tochter-Richtlinie 90/435/EWG

Ziel der Mutter-Tochter-Richtlinie ist die Vermeidung von Doppelbesteuerung bei Gewinnausschüttungen zwischen Kapitalgesellschaften innerhalb der Gemeinschaft und Vermeidung der Quellenbesteuerung solcher Ausschüttungen. Die M-T-Richtlinie enthält detaillierte Vorgaben, wie diese Ziele erreicht werden sollen, nämlich über die Freistellungsmethode oder die Anrechnungsmethode, wobei sich die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft damals überwiegend für die Anwendung der Freistellungsmethode entschieden. Sofern persönliche Anwendungsvoraussetzungen erfüllt sind, soll keine Quellensteuer auf Dividenden einbehalten werden. Insoweit wird also das nach nationalem Recht regelmäßig gegebene und gegebenenfalls nach Abkommensrecht verringerte Quellenbesteuerungsrecht beseitigt. Dieser Regelung kommt deshalb große Bedeutung zu, weil die Quellensteuer teilweise zu Anrechnungsüberhängen führte.

Es werden nur bestimmte Kapitalgesellschaften von der M-T-Richtlinie erfasst, diese sind im Richtlinien-Anhang aufgeführt. Die erforderliche Beteiligung der Muttergesellschaft von ursprünglich mindestens 25 % wurde schrittweise herabgesetzt auf aktuell mindestens 10 %. Nach der M-T-Richtlinie können Beteiligungskosten vom Abzug als Betriebsausgaben ausgeschlossen werden; eine maximale Pauschalisierung von 5 % ist ebenfalls möglich.

Die nationale Umsetzung der M-T-Richtlinie erfolgte in § 43b EStG.[2]

Um der Hinterziehung von Steuern mithilfe hybrider Finanzinstrumente ein Ende zu bereiten wurde die M-T-RL in Art. 4 Abs. 1 dahingehend geändert, dass der Mitgliedstaat der Muttergesellschaft und der Mitgliedstaat der Betriebsstätte Gewinne, die einer Muttergesellschaft oder ihrer Betriebstätte aufgrund der Beteiligung der Muttergesellschaft an der Tochtergesellschaft zufließen und die nicht anlässlich der Liquidation der Tochtergesellschaft ausgeschüttet werden, insoweit nicht besteuern, als sie von der Tochtergesellschaft nicht abgezogen werden können, sie hingegen insoweit besteuern, als sie von der Tochtergesellschaft abgezogen werden können.[3] Umgesetzt wurde dies in Deutschland durch das Steueränderungsgesetz 2015,[4] indem § 43b EStG und die Anlage 2 zu § 43b EStG neu gefasst wurden.

Als Anti-Missbrauchsmaßnahme wurde die Missbrauchsklausel in Art. 1 Abs. 2 M-T-RL neu gefasst.[5] Danach gewähren die Mitgliedstaaten die Vorteile der M-T-RL nicht, wenn unter Berücksichtigung aller relevanten Fakten und Umstände eine unangemessene Gestaltung oder eine unangemessene Abfolge von Gestaltungen vorliegt, bei der der wesentliche Zweck oder einer der wesentlichen Zwecke darin besteht, einen steuerlichen Vorteil zu erlangen, der dem Ziel oder Zweck der M-T-RL zuwiderläuft. Im Zusammenhang mit dieser Missbrauchsklausel ist auf das aktuelle Urteil des EuGH vom 20.12.2017[6] zu zwei verbundene Vorlagefragen des FG Köln vom Sommer 2016[7] sowie auch eine weitere aktuelle Vorlage des FG Köln aus 2017[8] hingewiesen werden. Der EuGH hat mit Urteil vom 20.12.2017 § 50d Abs. 3 EStG idF. des Jahressteuergesetzes 2007 für unionsrechtswidrig erklärt. In den ersten beiden Vorlagen aus dem Jahre 2016, die § 50d Abs. 3 EStG idF. des JStG 2007 betreffen, äußerte das FG Köln Zweifel daran, ob § 50d Abs. 3 EStG mit der europäischen Niederlassungsfreiheit und der in der M-T-RL  enthaltenen Missbrauchsklausel vereinbar sei, weil gebietsansässigen Muttergesellschaften in vergleichbaren Sachverhalten die Entlastung von der Kapitalertragsteuer gewährt werde, ohne dass die Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG erfüllt sein müssen. Der EuGH hat die Zweifel des FG Köln bestätigt. Mit Wirkung zum 01.01.2012 war § 50d Abs. 3 EStG durch das Beitreibungs-Richtlinien-Umsetzungsgesetz[9] mittels einer neuen Aufteilungsklausel bereits etwas entschärft worden. Aber auch bei dieser nachgebesserten Fassung hat das FG Köln in dem dritten Vorlagebeschluss aus 2017  Zweifel an der Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht geäußert, insbesondere dahingehend, ob die Nachbesserung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht. Dies sei zweifelhaft, so das FG, da nach wie vor einer im Gemeinschaftsgebiet ansässigen Kapitalgesellschaft ggf. die Kapitalertragsteuererstattung versagt werde, auch wenn sie über eine angemessene Substanz verfügt.[10]

[1] Mutter-Tochter-Richtlinie vom 30.11.2011 – 2011/96/EU (Mutter-Tochter-Richtlinie 2011), ABl vom 29.12.2011, L 345/8, zul. geänd. durch Richtlinie (EU) 2015/121 des Rates vom 27. Januar 2015, ABl. L 21 vom 28.01.2015 S. 1.

[2] Zuletzt geändert durch Artikel 2 d. G. vom 01.04.2015, BGBl I S. 434.

[3] Richtlinie 2014/86/EU des Rates vom 08.07.2014 zur Änderung der Richtlinie 2011/96/EU über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten, ABl vom 25.07.2014, L 219/40. Die Richtlinie ist von den Mitgliedstaaten bis 31.12.2015 umzusetzen.

[4] Gesetz vom 02.11.2015, BGBl I S. 1834.

[5] Richtlinie (EU) 2015/121 des Rates vom 27.01.2015 zur Änderung der Richtlinie 2011/96/EU über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten, ABl vom 28.01.2015, L 21/1. Die Richtlinie war von den Mitgliedstaaten bis 31.12.2015 umzusetzen.

[6] EuGH vom 20.12.2017, C-504/16 Rs. „Deister Holding“ und C-613/16 Rs. „Juhler Holding“, ECLI:EU:C:2017:1009.

[7] FG Köln, Beschluss vom 08.07.2016, 2 K 2995/12, „Deister Holding“, EFG 2016, 1801; FG Köln Beschluss vom 31.08.2016, 2 K 721/13, „Juhler Holding“, EFG 2017, 51.

[8] FG Köln Beschluss vom 17.05.2017, 2 K 773/16, veröffentlicht auf www.nrwe.de. Az. des EuGH: C-440/17.

[9] Gesetz zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetz – BeitrRLUmsG), vom 07.12.2011, BGBl. I S. 2592.

[10] Pressemitteilung des FG Köln vom 20.07.2017.