1. Einleitung und Überblick

Das Außensteuerrecht ermöglichte in den 60/70er Jahren ein Steuersparmodell, bei dem in einem DBA-Staat mit besonders günstiger Besteuerung für vermögensverwaltende Kapitalgesellschaften eine Kapitalgesellschaft gegründet wurde, deren wesentliche Aufgabe das Halten und Verwalten von Vermögen war. Die erzielten Erträge unterlagen im Ausland nur einer relativ niedrigen oder gar keiner Ertragsteuer und wurden mit Hilfe des DBA-Schachtelprivilegs körperschaftsteuer- und gewerbesteuerfrei ins Inland ausgeschüttet. Die Reaktion des deutschen Gesetzgebers folgte 1972 mit der Einfügung der §§ 7 bis 14 AStG über die Hinzurechnungsbesteuerung für unbeschränkt steuerpflichtige natürliche und juristische Personen mit einer sogenannten ausländischen Zwischengesellschaft.

Aktuell bestehen in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung Zweifel an der EU-Rechts-Konformität der Hinzurechnungsbesteuerung nach den §§ 7 – 14 AStG. So stellte das FG Münster[1] fest, dass die §§ 7 ff. AStG zur Durchbrechung der für Kapitalgesellschaften kennzeichnenden Abschirmwirkung und zur Besteuerung auch nicht ausgeschütteter Einkünfte beim inländischen Gesellschafter führen. Darin sieht das FG eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 63 Abs. 1 AEU (die Kapitalverkehrsfreiheit findet auch im Verhältnis zu Drittstaaten, wie in dem entschiedenen Fall zur Schweiz, Anwendung). Allerdings berühre Art. 63 Abs. 1 AEUV gemäß der sog. Stand-Still-Klausel (oder auch Fortbestandsgarantie) des Art. 64 Abs. 1 AEUV  nicht die Anwendung derjenigen Beschränkungen auf Drittländer, die am 31.12.1993 aufgrund einzelstaatlicher Rechtsvorschriften oder aufgrund von Rechtsvorschriften der Union für den Kapitalverkehr mit Drittländern im Zusammenhang mit Direktinvestitionen einschließlich Anlagen in Immobilien, mit der Niederlassung, der Erbringung von Finanzdienstleistungen oder der Zulassung von Wertpapieren zu den Kapitalmärkten bestehen oder aber im Wesentlichen mit einer am 31.12.1993 bestehenden Regelung übereinstimmen. Da die §§ 7 ff. AStG seit dem 31.12.1993 weitgehend unverändert geblieben seien (zumindest soweit sie für den Streitfall maßgeblich waren), bleiben sie nach Ansicht des FG Münster als zulässige Beschränkung  der Kapitalverkehrsfreiheit für Drittländer bestehen. Allerdings hält das FG Münster unabhängig davon den Eingriff der §§ 7 ff. AStG in die Kapitalverkehrsfreiheit als gerechtfertigt an, da die Hinzurechnung von Einkunftsteilen ausländischer Zwischengesellschaften nach Maßgabe von §§ 7 ff. AStG die Abschöpfung sog. passiver Einkünfte im niedrig besteuernden Ausland bezweckt und als solche einer typisierten Missbrauchsabwehr dient. Damit würden das Interesse der Allgemeinheit, Steuerhinterziehung zu bekämpfen, und die Notwendigkeit, die Wirksamkeit der Steuerprüfungen zu wahren, durch eine hierfür geeignete, erforderliche und verhältnismäßige Regelung in anderer Weise sichergestellt. Das FG Münster hat die Revision zugelassen.[2] Auch das FG Baden-Württemberg hat unter Bezugnahme auf die zitierte Rechtsprechung des FG Münster und die anhängige Revision die Aussetzung der Vollziehung wegen ernstlicher unionsrechtlicher Zweifel an der Hinzurechnungsbesteuerung gemäß §§ 7 ff. AStG im Verhältnis zur Schweiz gewährt.[3] Mindestens bis zur Revisionsentscheidung sollten also in entsprechenden Fällen Aussetzung der Vollziehung beantragt werden unter Hinweis auf die unions- (und verfassungs-) rechtlichen Bedenken beantragt werden. Allerdings bereitet das BMF bereits eine grundlegende Überarbeitung der Hinzurechnungsbesteuerung vor.

Der BFH hat die Frage der Vereinbarkeit der Hinzurechnungsbesteuerung mit dem Unionsrecht dem EuGH mit einem Vorlagebeschluss vom 12.10.2016[4] vorgelegt, da anzweifelt, dass die Hinzurechnungsbesteuerung von Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter in Drittstaatensachverhalten vollständig mit dem Unionsrecht vereinbar ist. In dem dem EuGH nunmehr zur Vorabentscheidung vorgelegten Fall war eine deutsche GmbH zu 30 % an einer Schweizer AG beteiligt. Diese erzielte Einkünfte aus abgetretenen Geldforderungen, die vom Finanzamt zu Lasten der GmbH als Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter der Hinzurechnungsbesteuerung unterworfen wurden. Gemäß § 8 Abs. 2 AStG ist seit 2008 für Beteiligungen an Zwischengesellschaften aus EU- und EWR-Staaten eine Entlastungsmöglichkeit durch einen Motivtest vorgesehen, nicht jedoch für Drittstaaten (im Vorlagefall: Schweiz). Dies könnte nach Auffassung des BFH gegen die unionsrechtlich verbürgte Kapitalverkehrsfreiheit verstoßen, die – anders als die Niederlassungsfreiheit – grundsätzlich auch im Verkehr mit Drittstaaten geschützt ist.[5]

[1] FG Münster vom 30.10.2014, 2 K 618/11 F (n. rkr.), EFG 2015, 351.

[2] Revision anhängig unter BFH I R 78/14: Verstoßen die Vorschriften des AStG über die Hinzurechnungsbesteuerung unter Durchbrechung des DBA-Schweiz gegen Verfassungsrecht und gegen die unionsrechtliche Kapitalverkehrsfreiheit?

[3] FG Baden-Württemberg vom 12.08.2015, 3 V 4193/13 (rkr.), veröffentlicht in der Landesrecht-sprechungsdatenbank Baden-Württemberg unter http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_ rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&nr=19873.

[4] BFH vom 12.10.2016, I R 80/14, ECLI:DE:BFH:2016:VE.121016.IR80.14.0. Das Az. des EuGH lautet: C-135/17.

[5] Vgl. Pressemitteilung des BFH Nr. 15/2017 vom 15.03.2017, veröffentlicht auf der Homepage des BFH.