Als arbeitsrechtliche Kollisionsnorm ist bei grenzüberschreitenden Mitarbeiterentsendungsfällen die Rom I-Verordnung[1] zu beachten. Diese gilt für Verträge, die nach dem 17.12.2009 geschlossen werden. Rom I ist anwendbar auf Individualarbeitsverträge, nicht aber auf Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge.
Art. 8 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 Rom I-VO gewährt die freie Rechtswahl. Zustandekommen und Wirksamkeit der Rechtswahlklausel richten sich nach dem gewählten Recht.[2] Soweit keine Rechtswahl getroffen wurde, ist das geltende Arbeitsrecht durch die Regelanknüpfungen der Abs. 2 bis 4 des Art. 8 zu bestimmen. Es gilt das Recht des gewöhnlichen Arbeitsorts,[3] wobei bei nur vorübergehender Verrichtung der Arbeit im Ausland kein Wechsel des gewöhnlichen Arbeitsorts vorliegt. Nur vorübergehende Verrichtung der Arbeit im Ausland bedeutet, dass eine zeitliche Begrenzung vorgesehen und Rückkehrabsicht vorhanden ist. Nach der Auffangregelung in Art. 8 Abs. 3 Rom I-VO gilt das Recht der Niederlassung, die den Arbeitnehmer eingestellt hat (z. B. wenn der Arbeitnehmer ständig wechselnde Einsatzorte hat). Eine Ausnahme gilt nach Art. 8 Abs. 4 Rom I-VO, wenn sich bei einer Einzelfallbetrachtung aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass das Arbeitsverhältnis eine „engere Verbindung“ zu einem anderen Staat hat. Dann gilt das Recht dieses Staates mit der engeren Verbindung.
Obwohl die Arbeitsvertragsparteien eine Rechtswahl getroffen haben, kann das anzuwendende Recht gem. Art. 8 Abs. 1 Satz 2 Rom I-VO durchbrochen werden, wenn durch die Rechtswahl zwingende arbeitsrechtliche Schutznormen, die ohne die Rechtswahl anzuwenden wären (also nach Art. 8 Abs. 2, 3 oder 4), nicht zur Anwendung gelangen. Solche zwingenden Schutznormen sind im deutschen Arbeitsrecht z. B. der Kündigungsschutz, die Regelungen des § 613a BGB zum Betriebsübergang oder auch die Vorschriften allgemeinverbindlicher Tarifverträge. Durch diese Durchbrechung der Rechtswahl werden nationale arbeitsrechtliche Mindeststandards gesichert. Es entsteht ein Mischrecht. Sogar die Durchbrechung der Regelanknüpfung des Art. 8 Abs. 2 bis 4 Rom I-VO ist möglich, und zwar durch sog. Eingriffsnormen. Das heißt, diese Eingriffsnormen gelten auch dann, wenn nach Art. 8 Abs. 2, 3 oder 4 Rom I-VO ausländisches Recht anzuwenden ist. Art. 9 Rom I-VO definiert solche Eingriffsnormen wie folgt:
„Eine Eingriffsnorm ist eine zwingende Vorschrift, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den Vertrag anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen.“
Eingriffsnormen des deutschen Arbeitsrechts in diesem Sinne sind z. B. der Schutz von Schwangeren und Müttern oder der Schutz von Betriebsratsmitgliedern. Auf die formalen Vorschriften des § 2 Abs. 2 NachwG ist ergänzend hinzuweisen.
Auch die Vorschriften des Arbeitnehmerentsendegesetzes (AEntG) sind zu beachten. Es gilt für Arbeitgeber des Bauhaupt- und -nebengewerbes, der Gebäudereinigung, für Briefdienstleistungen, für Sicherheitsdienstleistungen, für Bergbauspezialarbeiten in Steinkohlebergwerken, für Wäschereidienstleistungen im Objektkundengeschäft, für die Abfallwirtschaft einschließlich Straßenreinigung und Winterdienst, für Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen nach SGB II und III und erstreckt die deutschen Mindestarbeitsbedingungen auf in Deutschland ausgeübte Arbeitsverhältnisse mit ausländischen Arbeitgebern (z. B. Mindestjahresurlaub, Höchstarbeitszeiten, Mindestruhezeiten, Arbeitnehmerüberlassung, Arbeitssicherheit, Gleichbehandlung).
[1] Verordnung EG Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.06.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), ABl 2008, L 177/6, ber. 2009, L 309/87.
[2] Vgl. Art. 3 Abs. 5 i. V. m. Art. 10 Rom I-VO.
[3] Vgl. Art. 8 Abs. 2 Rom I-VO.